Tabubruch ?

Es scheint nicht zu klappen: Seit rund 30 Jahren arbeiten Industrielobbyisten wie die Bertelsmann-Stiftung im Verein mit „progressiven“ Gruppen und Parteien am Konzept „Ganztagsbetreuung ab 0 außerhalb der Familie in öffentlichen Einrichtungen“. Nach anfänglicher Ignoranz und Arroganz („Hauptsache Kinder betreut und Eltern ganztags in der Produktion!“) wurden sogar hohe qualitative Standards wie etwa ein Betreuungsschlüssel von 1:3 gefordert und die Kita zur „wichtigsten Bildungseinrichtung“ geadelt. Mittlerweile gibt es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, der durch Bundesgesetz ab 2026 auch auf die Grundschule ausgeweitet werden wird.

Obwohl bisher nur rund 35% der Eltern mitmachen, kommt das Konzept jetzt schon an seine Grenzen: Es wurde zwar gebaut und gebaut. Es wurden hübsche bunte Möbelchen angeschafft, auch niedliche Toiletten und Waschbecken installiert. Aber jetzt fehlt schlicht das fachliche Personal für Krippen, Kindergärten und Schulen. In Bayern dürfen jetzt alle irgendwie geeigneten Menschen als Betreuungskräfte anheuern; Professorinnen und Professoren der Frühpädagogik schreiben aufgeregte Leserbriefe: So nicht!

Vielleicht wäre es einfach schlauer, ein wirklich gutes, ordentlich ausgestattetes Halbtagsangebot zu machen: Ein gesetzlicher Rechtsanspruch auf Halbtagsarbeit für alle Eltern und Halbtagsbetreuung für alle Kinder. Freilich müsste im Gegenzug die Leistung der Familien honoriert werden, damit sie materiell mit Halbtagsstellen über die Runden kommen.

Voraussetzung dafür wäre aber ein Tabubruch: Man müsste anerkennen, dass Kitas mit zu wenig Fachpersonal nicht verantwortbar sind. Man müsste auch zugeben, dass Fachpersonal nicht beliebig vermehrbar ist. Und man müsste zugeben, dass Eltern in der Mehrzahl keine pädagogischen Versager sind und ihren Kindern sichere Bindungserfahrungen vermitteln. Voraussetzung dafür ist aber ausreichend Zeit und stabile materielle Sicherheit. Echte Familienpolitik würde sich darum kümmern.